Alex Demirović hat kürzlich einen umfassenden und eindrucksvollen Beitrag veröffentlicht: Braucht es eine Erneuerung der Faschismustheorie? Seine Antwort ist differenziert, historisch informiert und klug formuliert. Er spricht nicht von einer Rückkehr des Faschismus, sondern analysiert den Prozess der Faschisierung – als schleichende Durchdringung demokratischer Institutionen mit autoritären Elementen, befeuert durch soziale, ökologische und geopolitische Krisen.
So weit, so überzeugend. Und doch bleibt ein Unbehagen. Denn während Demirović sich theoretisch auf souveränem Terrain bewegt, blendet er aus, was in seiner unmittelbaren politischen Umgebung passiert: innerhalb der Partei Die Linke, innerhalb der Rosa-Luxemburg-Stiftung, innerhalb der politischen Praxis, der er sich nicht nur als Beobachter, sondern als Akteur verpflichtet hat.
Bewegungspartei als Ablenkung
Demirović fordert neue Solidarpraktiken. Doch in der Realität der Partei Die Linke erleben wir etwas anderes: eine Selbstinszenierung als »Bewegungspartei«, die mit Mietrechtsprüfungen, Heizkostenchecks oder Veranstaltungen suggeriert, nah an den Menschen zu sein – während zentrale Konfliktfelder gemieden, umgedeutet oder entpolitisiert werden.
Diese Bewegungsrhetorik dient oft nicht der Aufklärung, sondern der Vernebelung realer Widersprüche: Die Haltung zur Ukraine: diffus bis opportunistisch. Die Haltung zu Israel: zunehmend einseitig und realitätsverleugnend. Die innerparteiliche Kultur: autoritär werdend und kritikabweisend.
Gaza-Handreichung: Schweigen als Methode
Ein besonders alarmierendes Beispiel ist die im Juli 2025 veröffentlichte »Handreichung zu Veranstaltungen über Gaza«, herausgegeben von der Bundesgeschäftsstelle der Partei. Sie bietet auf 20 Seiten Filmvorschläge, Workshops und Diskussionsformate – und bleibt dabei in einem Punkt konsequent:
Der Angriff der Hamas vom 7. Oktober 2023 wird mit keinem Wort erwähnt.
Keine Erwähnung der Geiseln, keine Erwähnung der Massaker, keine Nennung der Täter. Stattdessen: Israel als Täterstaat, suggeriert als einzige Quelle von Gewalt, Krieg, Hunger und Zerstörung. Die Hamas? Existiert nicht. Und damit auch nicht die jüdische Perspektive auf die eigene Sicherheit und Existenz.
Diese Auslassung ist keine Nachlässigkeit, sondern politische Absicht. Sie ist Ausdruck eines linken Selbstverständnisses, das sich nicht mehr der Aufklärung verpflichtet fühlt, sondern einem moralisch aufgeladenen Weltbild, das nur noch Täter und Opfer kennt – und nur einen Staat als Täter.
Theorie und Verantwortung: Die Leerstelle bei Demirović
Demirović bleibt in seiner Analyse bei allgemeinen Formeln: Es brauche neue Bündnisse, neue Strategien, neue Allianzen. Aber was ist mit der Verantwortung in der eigenen Partei? Was ist mit einer politischen Bildung, die zur Einseitigkeit wird? Was ist mit einer Linken, die das Projekt der Aufklärung durch selektive Empörung ersetzt?
Dass Demirović hierzu schweigt, ist nicht bloß eine Lücke – es ist ein Symptom. Es zeigt, wie weit Theorie und Praxis in der heutigen Linken auseinanderklaffen können. Und es zeigt, wie gefährlich es ist, autoritäre Entwicklungen zu analysieren – ohne den autoritären Sog im eigenen Haus zu erkennen.
Und nun?
Wer – wie Demirović – zu Recht warnt, dass autoritäre Dynamiken nicht plötzlich, sondern schleichend entstehen, müsste auch sehen, wie selektive Realitätsdeutung, Ausschluss von Kritik und einseitige Bildungsarbeit selbst Teil solcher Prozesse werden können. Und zwar nicht nur „da draußen“, sondern in der Partei Die Linke selbst.
Es genügt nicht, Faschismus theoretisch zu dekonstruieren. Es braucht auch den Mut, dorthin zu schauen, wo linke Ideale unter ideologischem Druck ihre Aufklärungskraft verlieren. Wer wie Demirović zur Verteidigung »emanzipatorischer Erfolge« aufruft, sollte sich fragen lassen: Welche werden gerade aktiv verspielt – und mit wessen Schweigen?
Link: https://zeitschrift-luxemburg.de/artikel/braucht-es-eine-erneuerung-der-faschismustheorie/