Am 8. Mai 2025 jährte sich das Ende des Zweiten Weltkriegs zum 80. Mal – ein bedeutendes Datum, das öffentliches Gedenken, kritische Reflexion und historische Verantwortung verdient. Die regionale Presse hat diesen Tag natürlich aufgegriffen, so auch die Mitteldeutsche Zeitung. Sie veröffentlichte in ihrer Ausgabe vom 8. Mai drei Beiträge: einen historischen Rückblick auf das Kriegsende in Sachsen-Anhalt, ein Zeitzeugenporträt eines ehemaligen Wehrmachtssoldaten – und einen Kommentar, der mahnende Worte fand.
Was auffiel: Zwei der drei Beiträge rückten fast ausschließlich das Leid der Deutschen in den Mittelpunkt – von Bombenangriffen über Demontagen durch die Sowjets bis hin zu persönlichen Kriegstraumata. Die Perspektive der Befreiten, insbesondere jüdischer Überlebender oder osteuropäischer Opfer, fehlte weitgehend. Die nationalsozialistischen Verbrechen – der Holocaust, der Vernichtungskrieg im Osten – blieben Randnotizen.
In diesem Kontext habe ich folgenden Leserbrief an die Redaktion verfasst, den ich hier dokumentieren möchte:
Leserbrief: Gedenken mit Schieflage
Zum 80. Jahrestag des Kriegsendes druckt die Mitteldeutsche Zeitung zwei große Beiträge und einen Kommentar. Was auffällt: Es geht viel um das Leid der Deutschen, um zerstörte Städte, sowjetische Demontagen, traumatisierte Wehrmachtssoldaten. Was fehlt, ist die andere Seite der Geschichte: die Opfer des deutschen Vernichtungskriegs, der Holocaust, die befreiten Lager.
Wenn Gedenken fast ausschließlich aus familiären Erzählungen und regionalem Erinnern besteht, wird es schnell bequem. Dann rückt nicht mehr die Verantwortung in den Mittelpunkt, sondern das Mitgefühl mit sich selbst. Es entsteht ein Bild, in dem Deutsche vor allem Opfer sind – nicht Täter, nicht Nutznießer, nicht Mitläufer. Diese Form des Gedenkens riskiert, zur Bühne für ein stilles Versöhnungstheater zu werden.
Der 8. Mai war nicht einfach ein Tag, an dem die Waffen schwiegen. Er war das Ende eines verbrecherischen Regimes, das Millionen Menschen das Leben kostete – in Auschwitz, in Babyn Jar, in Oradour. Wer das heute verdrängt oder relativiert, betreibt nicht Erinnerung, sondern Selbstentlastung.
Gedenken braucht keine Beruhigung. Es braucht Klarheit.
Der Kommentar der Zeitung selbst brachte übrigens eine wohltuend klare Stimme ein: Er erinnerte an die zentrale Bedeutung des 8. Mai als Tag der Befreiung und warnte vor einer Täter-Opfer-Umkehr. Doch leider wirkte er in der Gesamtkomposition eher wie ein Feigenblatt – während die flankierenden Beiträge das Gedenken fast ausschließlich durch die Brille deutscher Betroffenheit darstellten.
Es bleibt ein offenes Thema: Wie erinnern wir? Und: Wer kommt dabei zu Wort – und wer nicht?