Weichgespülter Bommerlunder – Bommerlunder weichgespült…
Diese Zeile, einst ironisch dahergerappt, drängte sich mir am 8. Mai plötzlich wieder auf. Nicht wegen Trinkszenen, sondern als bitterkomische Reaktion auf das, was wir uns unter „Erinnerungskultur“ zumuten – oder besser: was wir uns nicht mehr zumuten.
In meinem Fall war es ein Post auf Instagram, der diesen Gedanken auslöste. Dort stand, sachlich und gut gemeint: Am 8. Mai 1945 endete der Zweite Weltkrieg mit der bedingungslosen Kapitulation Deutschlands. Für Millionen Verfolgte, Widerständige und KZ-Überlebende war es die Befreiung. Und: Der Begriff „Befreiung“ habe lange gebraucht, bis er Eingang in den öffentlichen Diskurs fand.
Soweit, so korrekt.
Aber was fehlt, ist die Frage: Und heute?
Der Post beschreibt, dass es jahrzehntelang dauerte, den 8. Mai als Tag der Befreiung zu verstehen – sagt aber nichts dazu, wie dieses Verständnis heute wieder ausgehöhlt wird. Auch er wird zum Teil jenes Rituals, das den Eindruck vermittelt: Wir haben ja alles aufgearbeitet. Wir wissen jetzt Bescheid. Als müssten wir heute nur noch Erinnern – aber nicht mehr erinnern, wie wir erinnern.
Dabei ist genau das das Problem.
Ich blätterte am selben Tag durch die Mitteldeutsche Zeitung – drei Beiträge zum 8. Mai. Zwei davon durch und durch von der Perspektive deutscher Opfer geprägt: Luftangriffe, sowjetische Gewalt, ein Wehrmachtssoldat, der Glück hatte zu überleben. Keine Rede von Auschwitz, keine von Babyn Jar. „Befreiung“ kam allenfalls als Zitat vor.
Nur ein Kommentar versuchte, das Gedenken in die richtige Waage zu bringen: mit dem Verweis auf deutsche Schuld, den Holocaust, die Gefahr der Täter-Opfer-Umkehr. Aber er blieb isoliert – eine Pflichtübung der Klarheit in einem ansonsten weichgespülten Erzählduktus.
Was wir da erleben – im Lokaljournalismus wie in Teilen der Sozialen Medien – ist kein bewusster Revisionismus. Aber es ist auch kein wacher Umgang mit Geschichte. Es ist ein Erinnerungsritual, das beruhigt statt beunruhigt. Das sich auf das „Damals“ konzentriert, um dem „Heute“ auszuweichen.
Der Begriff Versöhnungstheater trifft es gut – einmal kritisch gebraucht, bezeichnet er Gedenken, das mehr Gemeinsamkeit als Wahrheit will. Und genau darin liegt die Gefahr: Wenn selbst wohlinformierte Posts zum 8. Mai keine Position mehr zum Jetzt beziehen, wenn sie keine Mahnung formulieren, sondern eine Erzählung abschließen, dann wird auch dort Erinnerung zur Geste – freundlich, affirmativ, folgenlos.
Deshalb brauchen wir kein weiteres Ritual. Wir brauchen Haltung.
Sonst bleibt vom 8. Mai nur ein weichgespülter Bommerlunder – gut gemeint, aber schlecht verdaut.
Deshalb bleibt die Frage:
Was wollen wir trinken – klaren Geist? Oder weichgespülten Bommerlunder?