Wer mit Worten bombardiert, sollte sich nicht wundern, wenn seine Argumente in Trümmern liegen…

Ein Parteitag, zwei Anträge – und eine Partei, die ins Rutschen gerät. Warum der Streit über Gaza-Anträge im Landesverband Die Linke Sachsen-Anhalt mehr über den Landesverband selbst sagt als über den Nahen Osten.

Ein Beitrag über den Zerfall der Sprache in der Nahost-Debatte – und was er mit der Partei Die Linke macht

Was als politischer Aufschrei gemeint war, endet in Trümmern. Mit rhetorischen Luftschlägen, Pathosgranaten und einem Feuerwerk aus Anklagen wird derzeit im Namen der Menschlichkeit eine Sprache gepflegt, die selbst kaum mehr menschlich ist. Statt Klarheit: Eskalation. Statt Empathie: Empörung. Statt Verantwortung: verbale Dauerbombardierung. Wer so spricht, handelt nicht. Und wer nicht handelt, gibt den Diskurs preis – an die Lautesten.

Genau das erleben wir gerade in unserer Partei. Die Linke taumelt – zwischen den Fronten der Nahost-Debatte, zwischen Solidaritätsbekundungen und Beschlussinflation, zwischen richtiger Empörung und falscher Eindeutigkeit. Dass unsere Partei ihre Stimme erhebt angesichts der humanitären Katastrophe in Gaza: notwendig. Dass sie dabei zunehmend selbst die Sprache verliert: fatal.

Am kommenden Wochenende soll auf dem Landesparteitag in Sachsen-Anhalt ein Antrag der Linksjugend Sachsen-Anhalt beraten werden, der die Ereignisse in Gaza als Genozid bezeichnet und die Bundesregierung der Komplizenschaft bezichtigt.1 Das ist ein legitimer Debattenbeitrag, aber er ist auch eine dramatische Zuspitzung – politisch wie juristisch. Statt sich mit dieser Herausforderung argumentativ auseinanderzusetzen, bringt der Landesvorstand einen Ersetzungsantrag ein, der zwar rhetorisch etwas gemäßigter, aber inhaltlich kaum differenzierter ist.2

Der eigentliche Widerspruch liegt nicht zwischen diesen beiden Anträgen – sondern zwischen ihnen und dem, was öffentlich sonst über Parteigremien erklärt wird: Dass man in der Partei Grenzen ziehen müsse. Dass sich die politische Kultur nicht radikalisieren dürfe. Dass die Partei an der Idee einer verhandelten Zweistaatenlösung festhalte. Solche Sätze klingen gut – aber sie stehen mittlerweile oft nur noch in Briefen, nicht mehr in den eigenen Anträgen.

Dabei ist es kein Widerspruch, Menschenrechte für alle einzufordern und trotzdem Maß zu halten in der Sprache. Es ist kein Widerspruch, Israel zu kritisieren und dennoch zu wissen, warum man es nie demontieren darf. Es ist aber ein gefährlicher Irrtum zu glauben, der moralische Furor ersetze die politische Vernunft.

„Nie wieder zu einem Völkermord schweigen“, heißt es im Titel des Jugendverbandsantrags. Was wie ein Gebot klingt, wirkt längst wie eine Waffe. Der Satz wird nicht mehr abgewogen, sondern abgefeuert. Und mit ihm ein ganzes Arsenal an Schlagworten, Vergleichen, Schuldzuweisungen. Wer widerspricht, steht schnell im Verdacht, mit der „Staatsräson“ zu kuscheln oder sich „gegen Palästina“ zu stellen. Differenzierung? Durchaus erwünscht – aber bitte erst nach der Parole.

So verschiebt sich der innerparteiliche Diskurs in einen Raum, der mit linker Kritik nichts mehr zu tun hat, sondern mit identitärer Zuweisung. Wer nicht schreit, hat Unrecht. Wer zögert, hat Dreck am Stecken. Und wer sagt: „Lasst uns darüber reden, was wir sagen und wie“, gilt als Ablenker vom Eigentlichen.

Aber genau das Eigentliche droht dabei unterzugehen.

Die Partei Die Linke braucht – gerade in dieser Frage – keine weiteren Beschlüsse, sondern Haltung. Keine immer schrilleren Formulierungen, sondern Klarheit in der Substanz. Kein „Wettbewerb der Empörung“, sondern politische Urteilskraft.

Wenn wir also als Partei glaubwürdig bleiben wollen, dann reicht es nicht, zwischen zwei Papieren zu wählen, die beide mehr Moralin als Moral enthalten. Dann müssen wir einen dritten Weg aufzeigen: den der präzisen, selbstkritischen, empathischen linken Außenpolitik. Der die Rechte der Palästinenser*innen ebenso ernst nimmt wie die Bedrohung jüdischen Lebens. Der sich auf das Völkerrecht beruft – aber es nicht zur Keule macht. Und der weiß, dass politische Sprache nicht nur benennt, sondern auch bewirkt.

Denn am Ende gilt: Wer mit Worten bombardiert, sollte sich nicht wundern, wenn seine Argumente in Trümmern liegen.

  1. Antrag der Linksjugend Sachsen-Anhalt: https://www.dielinke-sachsen-anhalt.de/fileadmin/aaa_download_lsa/Parteitage/10._LPT_1._Tagung/weitere_Antraege/Antrag_LPT_2025_-_Stoppt_den_Genozid_in_Gaza_.pdf ↩︎
  2. Ersetzungsantrag des Landesvorstands: https://www.dielinke-sachsen-anhalt.de/fileadmin/aaa_download_lsa/Parteitage/10._LPT_1._Tagung/AEnderungsantraege/2025-11-06_Ersetzungsantrag__Stoppt_den_Genozid_in_Gaza__.pdf ↩︎